Die Tochterklöster

Der Ort, den Ailbertus 1104 gewählt hatte, um in Abgeschiedenheit und Einsamkeit ein Leben der Armut und des Gott geweihten Dienstes zu führen, war schon früh durch sein Gegenteil geprägt. Die klösterliche Gemeinschaft, die er im Lande Rode gegründet hatte, erwies sich bald als Anziehungspunkt für viele Menschen. Ganz im Sinne der kirchlichen Reformbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts fühlten sich viele Christen, nicht nur Kleriker, sondern auch Laien, Männer wie Frauen, vom Ideal der Armut und des Lebens in einer christlich orientierten Gemeinschaft angezogen. Sie ließen sich vom Ideal der vita apostolica inspirieren und strebten nach einem Leben wie das der ersten Christen, die sich in einer Gemeinschaft um die Apostel versammelt hatten. Ein charakteristischer Aspekt dieser Entwicklungen im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war das Entstehen von Doppelklöstern. Hier lebten Männer und Frauen als Ordensleute in getrennten Gebäuden, aber auf demselben Territorium, meist unter derselben Leitung.

Annales Rodenses, anno 1137, in denen der Erwerb des Gebiets von Marienthal erwähnt wird

Auch Embrico, Ministerialbeamter des Grafen von Saffenberg, der in den Annales Rodenses als bekannter, reicher und angesehener Mann aus Mayschoss beschrieben wird, fühlte sich durch eine göttliche Eingebung gedrängt, seinen Lebenswandel zu ändern. Er war beeindruckt von dem, was ihm über Ailbertus und das heilige Leben, das der Priester führte, zu Ohren gekommen war. Aus dem Ahrtal war er nach Kloosterrade gekommen und zog mit seiner Frau Adeleida und seinen Kindern Heriman und Margareta ein. Viele weitere Laienbrüder und -schwestern folgten. Die immer größer werdende Zahl der Frauen war eine Entwicklung, die Ailbertus nicht mit seinem Ideal vereinbaren konnte. Da er sich mit Embrico und Adeleida nicht auf eine gemeinsame Form des Zusammenlebens einigen konnte, verließ er 1111 das Kloster. Auch sein Nachfolger, Abt Richer, hielt es nicht für angemessen, dass Brüder und Schwestern in einer klösterlichen Gemeinschaft an ein und demselben Ort zusammenlebten. Dies stand im Widerspruch zu den klösterlichen Regeln, die er nach dem Vorbild der bayerischen Abtei, aus der er gekommen war, eingeführt hatte. Als seine Versuche, die Nonnen anderswo unterzubringen, scheiterten, beschloss er, die Zahl der Frauen auf höchstens acht zu begrenzen, um die häusliche Versorgung der Chorherren zu gewährleisten. Gleichzeitig wurden sie strengen disziplinarischen Regeln unterworfen. Sein Nachfolger Bruno unternahm 1126 einen weiteren Versuch, die beiden Gemeinschaften zu trennen. Zu diesem Zweck ließ er gegen die Kirche von Kerkrade ein Nonnenkloster errichten, wobei das Obergeschoss des Kirchturms als Kapelle dienen sollte. Alle Frauen wurden hierher verlegt und führten ein unabhängiges klösterliches Leben, das sich nicht auf körperliche Arbeit beschränkte. Sie feierten die liturgischen Gottesdienste, hielten die kanonischen Stunden ein und kümmerten sich selbst um die feierlichen Gesänge. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erhielten die Schwestern die Kirche in Kerkrade mit allen damit verbundenen Einkünften. Auch der nahegelegene Hof Crombach, den Graf Adelbert 1107 dem Ailbertus geschenkt hatte, wurde für den gleichen Zweck zur Verfügung gestellt.

Die Umsiedlung der Schwestern stellte jedoch keine zufriedenstellende Lösung dar. In den Annales Rodenses wird erwähnt, dass Borno Vorbereitungen für eine erneute Versetzung der Schwestern traf. Sein Motiv mag die Unzufriedenheit der Kanoniker in Kloosterrade gewesen sein, die sich durch die Übertragung von Kirche und Gehöft an die Schwestern in ihrer Existenz bedroht sahen. Zehn Jahre lang suchte Abt Borno nach Orten, an denen die Nonnen untergebracht werden konnten. Im Jahr 1136 erwarb er auf Vermittlung des Grafen Adolf von Saffenberg Land für die Gründung eines neuen Klosters im Ahrtal, wo die Abtei Kloosterrade viele Güter besaß. Sein Nachfolger Abt Johan ließ dort ein Klostergebäude errichten, das den Namen Marienthal erhielt. Im Jahr 1140 versetzte er die 37 Nonnen, die das Kloster in Kerkrade zählten, in ihre neue Heimat, wo sie eigene Güter für ihren Lebensunterhalt erhielten. In Urkunden vom 28. August 1140 wird die Gründung des Klosters Mariental sowohl von Arnold, Erzbischof von Köln, als auch von Adelbero, Bischof von Lüttich, bestätigt. Obwohl es sich um zwei verschiedene Urkunden handelt, sind sie inhaltlich und textlich völlig identisch. Sie regeln u.a. das Verhältnis zum Mutterkloster: Marienthal erhält einen eigenen Prior als Vertreter des Abtes und die Schwestern wählen ihre eigene Oberin. Sie zeigen Abt und Abtei, aus der sie versetzt wurden,  die gleiche Unterordnung und den gleichen Gehorsam und leben nach den gleichen Regeln wie die dortigen Kanonike. In einer dritten Urkunde, die ebenfalls am 28. August 1140 ausgestellt wurde, listet der Erzbischof von Köln die Güter auf, die Abt Johan von Kloosterrade den Schwestern von Marienthal als Nutznießer überließ. Das Kloster Marienthal bestand als Tochterkloster von Kloosterrade bis in die Franzosenzeit weiter.

Damit schienen die Schwestern für immer aus Kloosterrade verschwunden zu sein. Unter Abt Erpo, dem Nachfolger Johans, wurden jedoch wieder Frauen in der Abtei zugelassen. Dem Chronisten zufolge war das Motiv für die Wiederherstellung des Status eines Doppelklosters der Bedarf an weiblichen Ordensleuten für die Hausarbeit und andere Dienste, für die sich Frauenhände als unentbehrlich erwiesen, wie z. B. das Herstellen und Ausbessern von Kleidung. Auch Erpo hielt die Zahl der Nonnen im Kloster begrenzt, aber der Zustrom von Frauen nach Kloosterrade wuchs stetig. Im Jahr 1145 schenkte ein gewisser Adelbert der Abtei eine Kapelle in Scharn bei Maastricht, eine Schenkung, die in einer Urkunde vom 28. Oktober desselben Jahres bestätigt wurde. Erpo gründete dort gegen den Willen des Stifters, aber auch gegen den seiner Mitbrüder ein Frauenkloster. Es ist nicht klar, ob Erpo Nonnen, die neu in Kloosterrade eingetreten waren, nach Scharn versetzte.

Der Autor der Annales Rodenses erwähnt den Eintritt von Herzogin Jutta, der Witwe des Herzogs Walram II. van Limburg, unter dem Jahr 1151. Damit erlangte die Abtei adliches Ansehen. Sie starb kurze Zeit später im selben Jahr und wurde in der Abteikirche an der Seite ihrer Scan Limburg, beigesetzt. In den folgenden Jahrzehnten hielt der Zustrom von Frauen unvermindert an. Bis 1226 war er so stark angestiegen, dass die Zahl der Klosterschwestern in Kloosterrade auf Anweisung von Bischof Konrad von Porto und Sint-Rufina, dem päpstlichen Gesandten in Köln, die Zahl von 30 nicht überschreiten durfte. Nach mehreren Bränden im Frauenkloster beschloss Abt Marsilius, ein völlig neues Kloster für die Mönche zu gründen. Aus einer Urkunde vom November 1243 geht hervor, dass der Abt die Pröpste, Diakone und andere Geistliche um großzügige Unterstützung bei der Finanzierung des Baus bat. Die Wahl fiel auf Sinnich, einen Ort nordöstlich von Aubel in der Region Voer, wo die Abtei Grundbesitz besaß. Das neue Kloster beherbergte nicht nur die Schwestern aus Kloosterrade, sondern auch die Kanonissinnen aus dem bereits erwähnten Kloster in Scharn wurden hierher gebracht. Anlässlich der Übersiedlung der Nonnen aus Kloosterrade und Scharn nach Sinnich übertrugen Abt Marsilius und der Konvent von Kloosterrade in der Urkunde vom 11. Juni 1243 dem neuen Frauenkonvent alle Güter der Abtei in Sinnich und Besitzungen anderswo. Der Zustand von Kloosterrade als Doppelkloster war damit endgültig beendet. Wie das Kloster Marienthal musste auch das Kloster Sinnich im Jahre 1796 auf Anordnung der französischen Behörden seine Pforten schließen.

Neben den Klöstern Marienthal und Sinnich war auch das Kloster Hooidonk in Nordbrabant ein Tochterkloster der Abtei Kloosterrade. Der Annalist schreibt um das Jahr 1146, dass damals der Priester Leo die Abtei unter der Bedingung verlassen durfte, dass er auf eigene Faust und ohne finanzielle Unterstützung durch die Abtei ein Kloster gründen würde. Er baute dort eine Kapelle, aber das Kloster - ein Konvent für Männer und Frauen - erwies sich als wenig lebensfähig. Leo stellte seine Stiftung unter die Autorität und Obhut von Kloosterrade, das Kloster in Hooidonk wird als Frauenkloster weiterbestehen. Nicolaas Heyendal stellt in seiner Continuatio Annalium Rodensium, der Fortsetzung der Annales Rodenses, fest, dass die Situation des Klosters im Jahr 1301 alles andere als blühend war. Abt Theobald stellte bei einer Visitation in jenem Jahr fest, dass das Kloster mit hohen Schulden belastet war und dass es mehr Nonnen gab, als  unterhalten werden konnten. Aus diesem Grund beschränkte er die Zahl der Nonnen auf höchstens einundzwanzig. Als die Herrschaft über den nördlichen Teil Brabants 1648 an die Generalstaaten in Den Haag überging und auch Hooidonk in staatliche Hände fiel, wurde das Kloster aufgelöst.

Neben der Verbindung mit den Klöstern in Marienthal, Scharn, Sinnich und Hooidonk gab es auch eine Beziehung zwischen der Abtei Kloosterrade und einigen Klöstern in Friesland. Dabei handelte es sich um die Abteien in Ludingakerke und Achlum, die Propsteien Bergum und Haske und das Frauenpriorat in Anjum. Wie es zu dieser Beziehung kam, ist nicht bekannt. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sie von Kloosterrade aus gegründet wurden, möglicherweise wurden sie auf Anordnung ihres Bischofs der Gerichtsbarkeit von Kloosterrade unterstellt. Sicher ist, dass die Verbindung mit Kloosterrade mit dem Anschluss der friesischen Klöster an die Windesheimer Kongregation im 15. Jahrhundert beendet wurde. In den Archiven der Abtei sind keine Urkunden gefunden worden, die in irgendeiner Weise das Bestehen dieser Beziehung bezeugen.

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